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KrebsLeben - der Blog

Was ist mit unserem Selbstwert passiert?

Je mehr man also nach innen gehen kann, je introspektiver und selbstreflexiver man wird, desto mehr vermag man sich vom Ich zu lösen und über dessen begrenzten Horizont zu erheben und desto weniger narzisstisch oder egozentrisch - desto dezentrierter - wird man . (Ken Wilber)


Zum einen sagt man unserer Gesellschaft Egoismus nach – „die ICH-Gesellschaft“, „Selbstzentrierte Kinder“ oder die „Narzissmus-Society“- zum anderen hören wir gerade aus der spirituellen und auch psychologischen Ecke immer wieder: Wir haben zu wenig Selbstwert; es mangelt uns an Selbstwert; das Kind leidet unter mangelndem Selbstwertgefühl; es wird gemobbt. Andererseits scheint der Begriff des Narzissten – oder der Narzissmus - ein Comeback zu erleben. Narzissmus ist in aller Munde.
Na, was denn nun? Sind wir alle Egoisten, Narzissten oder haben wir kein Selbstwertgefühl?
Beides. Und: Das eine bedingt das andere.

Den meisten Menschen mangelt es an Selbstwert, an Selbstliebe. Sie kennen ihre eigenen wahren Bedürfnisse und Wünsche nicht oder halten sie für weniger wichtig als die von ihnen nahestehenden Menschen. Manche übernehmen Ziele und Wünsche von Dritten. Oft sieht man das in der Eltern-Kind-Beziehung. Zuerst opfert sich die Mutter auf für die Kinder und später folgen die Kinder manchmal einem Berufswunsch der Eltern, der sie selbst nicht erfüllt oder ihnen sogar schadet. Sie erfüllen die Erwartungen anderer. Sie beuten sich selbst aus, machen sich klein und stehen zurück. Sie verlieren sich. Chronisch Kranke haben sich meist in der ein oder anderen Form verloren.
Sie übernehmen fremde Werte, anstatt ihre eigenen zu definieren. Sie werden für diese auch manchmal sehr radikal und wirken nach außen stark und selbstbewusst. Oft folgen sie den verschiedenen Statussymbolen und gönnen sich auch das ein oder andere. Manche verfallen sogar in einen Kaufrausch - aber dennoch geben sie sich nicht wirklich, was sie brauchen. Im Inneren zweifeln sie an sich. Der Mensch kritisiert sich und lässt kein gutes Haar an sich, auch wenn er nach außen prahlt. Im Inneren bleibt die Leere, ein nicht erfüllt sein und ein Mangel an Liebe. Da hilft keine neue Tasche, kein teures Auto und auch kein neues Pferd.

Menschen glauben auch oft, dass sie immer nur andere Menschen lieben sollten, aber nie sich selbst. Manche wissen auch nicht, wie sie Liebe annehmen sollen. Sie lassen es weder zu, sich selbst zu lieben, noch dass andere dies tun. Oft passiert dann das, was wir gemeinhin den Narzissten nennen, oder den Angeber: Menschen, die im Außen die Helden spielen und im Inneren keinen Selbstwert haben und sich alles andere als lieben. Nein, sie zerfleischen sich förmlich.

Sie gelten als Egoisten oder Narzissten, sind aber fern davon, denn nichts ist ein wahres Gefühl. Meines Erachtens liebt der Narzisst aus der griechischen Mythologie sich selbst gar nicht. Er tut nur so. Seine Selbstverliebtheit und Selbstliebe sind gespielt, haben aber nichts mit der wirklichen Liebe zu tun.
Will der Mensch also nicht als vermeintlich egoistisch gelten, wagt er es nicht, sich für seine wirklich eigenen Belange einzusetzen. Er kann sich für seine Arbeit einsetzen, eine Firma, eine Dynastie – aber selten für sich selbst. Er hat sich selbst im Inneren verloren.

Kurz: Diese Menschen erlauben es sich nicht, sich selbst zu lieben und auf sich zu achten. Doch Selbstliebe ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, eine reife, gefestigte Persönlichkeit mit einem gesunden Selbstwertgefühl zu entwickeln. Es ist die Prämisse für Entscheidung, die Möglichkeit, Ängste abzubauen und auch die Verantwortung zu übernehmen. Erst wenn wir uns selbst für liebenswert halten, wenn wir uns wichtig nehmen und uns unseres Wertes bewusst sind, können wir unseren inneren Reichtum, unsere Ressourcen und Qualitäten erkennen und uns auch für andere, für das Leben an sich öffnen. Erst dann geben wir wirklich. Nur wer sich selbst wohlwollend betrachtet, kann das auch mit anderen tun. Nur wer sich selbst liebt, kann auch wirkliche Liebe geben. Wer sich selbst bewertet, bewertet auch andere. Wer Zuspruch von außen benötigt, der schätzt sich nicht selbst.
Narzissmus ist also so definiert eine notwendige Voraussetzung dafür, sich selbst als Teil des Ganzen zu finden. Denn jeder Mensch und jede Facette eines Menschen sind Teil des Ganzen. Jeder ist eine Ausprägung des Universums. Sobald wir uns verbiegen, zeigen wir uns nicht als die Person, die wir sind. Wir leben das Leben anderer, wir verfolgen nicht unsere eigenen Ziele oder Passionen.

Wie sind wir in diese Sackgasse geraten? Wie zu der Überzeugung gekommen, dass wir uns zwar am nächsten sind, uns jedoch gleichzeitig am weitesten von uns selbst entfernt haben?
Angst ist die Abwesenheit von Liebe und Vertrauen.
Wir treffen oft Entscheidungen aus der Angst heraus. Wir geraten also wieder in den bekannten Teufelskreis, den Circulus vitiosus. Da wir kein Vertrauen in uns selbst haben, keine Selbstliebe besitzen und nicht viel von uns halten, entwickeln wir Ängste. Ängste entstehen immer aus dem Mangel heraus. Ein Mangel an Vertrauen in unseren Körper, sich selbst zu heilen, uns einer Krankheit widersetzen zu können oder einfach ein Defizit des Gefühls, dass es gut gehen wird. Wir haben Angst vor Ablehnung. Angst, nicht die Wünsche und Vorstellungen anderer zu erfüllen und daher nicht die Vorstellungen Dritter zu erfüllen. Angst vor Krankheiten. Angst vor Armut, Krieg oder unglücklich zu sein. Angst vor allem.
Wir leben in einer Angstgesellschaft. Systeme arbeiten gerne mit Angst und die meisten Menschen haben die Angst so weit übernommen, dass sie selbst mit Angst arbeiten. Jeder tut es. Man bedroht die Kinder mit dem Nikolaus oder Krampus, mit Zahnausfall, wenn sie sich nicht die Zähne putzen, und das Wort „Erkältung“ enthält die beliebte Drohung: „Zieh dich warm an, werde nicht nass, geh nicht nach draußen, sonst wird es dir kalt und du bekommst eine Erkältung.“ Oder: „Wenn du für die Schule nichts tust, wirst du nichts!“, und „Wer sich nicht an die 10 Gebote hält, kommt in die Hölle.“
In der Medizin kennen wir auch viele Drohungen und Ängste: „Wenn Sie nicht sofort eine Chemotherapie machen, können wir für nichts garantieren.“, „Wenn Sie nicht jetzt eine neue Hüfte bekommen, wissen wir nicht…“, „Wenn Sie keine Antibiotika nehmen, dann…“ und „Wer sich nicht impfen lässt, der…“. Altbekannt, schon immer verwendet und für gut und wirkungsvoll befunden.
Wir bekommen ein Hilfsmittel angeboten, das uns wieder klar macht, dass wir selbst nicht in der Lage sind, es alleine zu schaffen. Wir werden durch diese Angstmacherei an unsere Defizite erinnert - bis wir diese glauben. Wir sind der Meinung, dass wir kaum eine Krankheit selbst überwinden können, und benötigen für alles Hilfe oder ein Hilfsmittel.  Das schwächt uns.

Kennen Sie einen Menschen ab 50 oder 60 der KEINE Medikamente nimmt?

Bekommen wir einmal eine wirklich schwere Krankheit, dann fehlen uns die wichtigsten Zutaten einer Heilung: Selbstvertrauen, Eigenverantwortung und das Gefühl, dass wir es schaffen können.

In der Angst herrscht ein großes Durcheinander in unserem Kopf. Oft fallen wir dann zurück in Kindheitsgewohnheiten. (Was wir uns als Eltern merken sollten! Eine stabile lösungsorientierte Kindheit erspart dem Menschen viele Ängste.) Wenn wir in der Kindheit nicht gelernt haben, unsere Probleme zu lösen, kann dieses Manko noch heute in ein ungezähmtes Brüllen, Fressanfälle, der Sucht nach Süßigkeiten und Alkohol oder in Wutanfälle ausarten – je nach Gewohnheit und je nachdem, was wir in unserer Familie als Strategie erlebt haben.  
Hilft uns all das Brüllen nicht, dann übernimmt der Hirnstamm das Kommando und die Großhirnrinde wird informiert. Der Hirnstamm löst automatische Ur-Verhaltensreaktionen aus, die von einem Erstarren über Flucht bis zum Angriff reichen können.  
Reagieren wir auf die Angstmacherei – die meist aus Angst betrieben wird – denn wer Angst hat, der warnt auch Dritte - so wird es in unserem Kopf kurzfristig kohärent. Der Stress lässt momentan nach. Langfristig aber zweifeln wir an uns.

Diejenigen, die Angst machen und natürlich auch eine Reaktion auf ihre Angst erlangen wollen, schüren gerne Zwietracht. Sie versuchen die Menschen zu spalten und aus ihrer Verbundenheit herauszulösen, denn in der Gruppe sind Menschen immer stärker. Je selbstbewusster und stärker eine Person ist, desto weniger gelingt dies. Diejenigen aber, die die Angst schüren, tun dies oft, um ihr Selbstbild aufrecht zu erhalten.
Jeder Mensch bekommt folglich Angst, wenn er nicht weiß, wie er auf eine Bedrohung reagieren soll. Dann benötigt er Vertrauen in seine Fähigkeit, eine Lösung zu finden. Der Fall nach unten, das Gefühl bodenloser Angst verschwindet dann, wenn wir Vertrauen finden. Je mehr Probleme wir lösen, desto weniger Angst und desto mehr Vertrauen haben wir. Wir kreieren uns den Glauben, dass alles wieder gut wird und wir einen Weg aus der Situation finden werden.
In der Angst werden Menschen oft zum Objekt gemacht. Sie werden zu Zielen, Wünschen, Ängsten oder Ideen anderer. Dieser Zustand schmerzt den Betroffenen und macht ihm wiederum Angst. Dies geschieht oft auch in einer Krankheit. Sobald der Patient einen anderen Weg einschlägt als gewünscht, erwartet oder vorgeschlagen, wird er zum Objekt der Angst. Die Angst des Arztes zu versagen, der Verwandten um ihre Lieben und, und, und… Der Mensch ist also nicht nur krank, nein, er wird auch aus seiner bisherigen Gesellschaft ausgeschlossen. Die Gesellschaft, die ihm bisher Kraft gab, denn in der Gemeinschaft empfinden wir nicht nur Sicherheit, sondern wir können auch unsere Potentiale besser entfalten. Passen wir uns allerdings an all diese Voraussetzungen an, verlieren wir uns, machen uns selbst zum Objekt und verlieren unseren Zugang zu uns selbst. Je länger wir diese Rolle spielen, desto fester sind die neuronalen Verschaltungen und um so schwerer kommen wir wieder aus ihr heraus.

Um aus diesem Teufelskreis herauszufinden, sollten wir zuallererst einmal das annehmen, was da ist. Oft wird der Fehler gemacht, dass man glaubt, man müsse nur „positiv denken“, um aus einer Situation wieder heraus zu gelangen. Daraus wird dann die Schlussfolgerung gezogen, dass uns etwas Negatives zustossen würde, wenn dies nicht gelingt.
Wenn ich nicht aufhöre, vor meiner Krankheit und dem Tod Angst zu haben, werde ich sterben“, ist ein typisches Gefühl. Wir erwischen uns tagtäglich, dass wir etwas nicht gut machen oder nicht gut genug machen. Wir sind wieder beim Thema: Ich bin nicht gut genug. Das Gegenteil von Liebe oder Toleranz gegenüber sich selbst.

Um negative Gedanken loszulassen, muss man sie erst einmal als solche erkennen und annehmen. Sie sind Teil von uns, gehören zu uns. Durch das Annehmen, also auch positives und liebevolles Annehmen, können wir sie auch gehen lassen. Achtsamkeit ist gefragt. Achtsamkeit, was wir denken und fühlen.
Wir vergessen oft, aus welchem Grund wir existieren. Wir haben alle eine Aufgabe in dieser Welt und nicht nur das Recht, sondern auch eine Verpflichtung, diese zu erfüllen. Wenn wir uns nicht um uns selbst und die uns gegebenen Aufgaben kümmern, so entsprechen wir auch nicht unserem Lebensgefühl.

Der Königsweg aus der Angst ist die eigene Intuition.

Wenn wir auf unsere Intuition achten, die mehr als ein bloßes Bauchgefühl ist, fühlen wir uns immer gut.
Oft haben wir sie in unserem schnellen und gestressten Lebenswandel verloren. Wir erachten sie nicht als wertvoll. Es ist nur ein Bauchgefühl – was ist das schon? Alles. Die Intuition entsteht aus uns heraus. Aus der Resilienz, der Entspannung.
Einstein sagte, die Intuition ist das einzig Wertvolle. Sie lebt nicht von intellektuellen Schlussfolgerungen, sondern kann aus sich heraus Sachverhalte richtig einschätzen.
Wie können wir diese wieder erlangen und aus dem Zyklus der Angst treten?
Die Meditation ist ein Weg. Der Abbau von Stress. Angst führt zu Stress und dieser zu einem Mangel an Intuition. Unsere Intuition kommt aus der Entspannung.
Yoga, Laufen, Ruhe, Nachrichtenfasten oder das Minimalisieren negativer Nachrichten führt uns wieder zu uns, zu unserem Selbstvertrauen, Intuition und schlussendlich auch zu unserem Selbstwert.
„Liebe Dich so, als würde Dein Leben davon abhängen“, sagte Anita Moorjani. Diesen Satz sollten wir nicht mehr vergessen.

Miriam Reichel: KrebsLeben. Zyklus der Angst




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